Blasenbeschwerden gehören zu den häufigsten aller Frauenkrankheiten. Doch leider suchen viele Patientinnen keine Hilfe bei Fachpersonen, sondern ziehen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück und schränken sich ein. Dabei kann nur eine sorgfältige Abklärung und Therapie dauerhaft von dem lästigen Leiden befreien.
Man geht davon aus, dass ungefähr 500 000 Menschen in der Schweiz unter Inkontinenz-Problemen leiden. Marlies von Siebenthal, leitende Fachfrau für Blasen- und Intimbeschwerden am Kantonsspital Frauenfeld, hält diese Schätzung für eher tief angesetzt. Sie rechnet mit einer hohen Dunkelziffer, weil die Thematik in der Gesellschaft immer noch tabuisiert werde. In der Folge hole sich nicht einmal jede zweite betroffene Frau Hilfe bei einer Fachperson.
Medical Tribune public: Marlies von Siebenthal, Sie arbeiten seit über 30 Jahren in der Frauenklinik des Kantonsspitals Frauenfeld als Fachfrau für Blasen- und Intimbeschwerden. Seit 2005 betreuen Sie viele Patientinnen im Blasen- und Beckenbodenzentrum der Frauenklinik. Wie hoch ist die Hemmschwelle bei Patientinnen mit Inkontinenz-Problemen?
Marlies von Siebenthal: Meine Patientinnen haben oft einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie zur Abklärung und Behandlung zu uns kommen. Sie haben ihr Leben den Blasenbeschwerden angepasst und sich damit arrangiert. Aber schon Einkaufen kann zur Qual werden. Wer von Inkontinenzproblemen betroffen ist, könnte einen Stadtplan mit allen Toiletten aufzeichnen. Viele Betroffene ziehen sich wegen ihrer Inkontinenzprobleme aus dem gesellschaftlichen Leben zurück.
Ob Konzertbesuche oder Wanderungen, bei allem herrscht die Sorge vor: Schaffe ich es bis zu nächsten Toilette? Aus Angst vor Harnverlust wird die Trinkmenge reduziert. Dadurch wird der Urin konzentrierter und der Harndrang bzw. Harnverlust noch verstärkt. Ein Teufelskreis beginnt. Die Blase ist auch das «Angst- und Loslass-Organ». Ängste können also den Harndrang verstärken.