Evelyn Wenzel, Sie leiten eine Praxis für Stärkencoaching in Zürich. Wer kommt zu Ihnen?
Evelyn Wenzel: Menschen, die ihre Stärken entdecken, manifestieren und besser nutzen wollen. Mein Coaching basiert auf der Positiven Psychologie. Ich beleuchte bei meinen Klienten also nicht die Defizite, sondern arbeite mit ihnen an ihren Kraftressourcen. Ziel ist es, das Selbstwertgefühl zu steigern und dadurch eine optimistischere Lebenseinstellung zu gewinnen. Denn damit lassen sich auch Problemsituationen im Leben wesentlich besser bewältigen.
Wie sehr beeinflusst eine positive Psyche den Körper?
Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen, dass es zwischen Körper und Geist eine enorme Wechselwirkung gibt. Positive Gedanken prägen eine positive Grundhaltung, steigern die Resilienz und wirken sich stärkend auf das Immunsystem aus.
Wie kann das konkret festgestellt werden?
Wie stark innere Überzeugungen sein können, wird am Beispiel des Placebo-Effektes sichtbar. Bei einer Studie an der Universität Hamburg-Eppendorf erklärte man fünfzehn gesunden Teilnehmern, dass ihre Arme mit zwei unterschiedlichen Cremes behandelt werden würden. Eine dieser Cremes sei eine Betäubungscreme, die andere ein Placebo. Tatsächlich jedoch war es so, dass beide Cremes völlig wirkstofffrei waren. Anschliessend setzte man die behandelten Teile der Arme einer schmerzvollen Hitze aus und führte währenddessen eine Magnetresonanztomographie des Rückenmarks durch. Die Teilnehmer berichteten, nach der Behandlung mit der – wie sie glaubten - wirksamen Creme, viel weniger Schmerzen zu empfinden. Die Aufnahmen, die mit der funktionellen Magnetresonanztomografie erstellt wurden, bezeugten, dass bei den Teilnehmern die Aktivität der Nerven im Rückenmark tatsächlich deutlich reduziert war.
Also genügt allein der Glaube an eine positive Wirkung, dass es uns besser geht?
Ja. Unsere Vorstellungskraft reicht so weit, dass wir durch die Macht der eigenen Gedanken enorme Heilerfolge in Gang setzen können. Man spricht dabei von der psychogenen Selbstheilung. Gary Bruno Schmid, ein in der Schweiz lebender amerikanischer Atomphysiker und analytischer Psychologe, hat jahrelang Fakten, Studien und wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema „Selbstheilung durch Vorstellungskraft“ zusammengetragen und im gleichnamigen Buch sowie wissenschaftlichen Artikeln veröffentlicht. Quintessenz: Es ist eindeutig, dass eine positive Psyche und ein gesunder Körper in direktem Zusammenhang stehen.
Kann umgekehrt negatives Denken Krankheiten verursachen?
Eine negative Denkweise führt dazu, dass ein Mensch Probleme drastischer wahrnimmt als eine optimistische Person. Dadurch wird auch der Körper mehr belastet. Das heisst aber nicht, dass jeder negativ denkende Mensch krank wird. Die Genetik spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Ebenso massgebend ist der Lebenswandel. Wer ständig Probleme sieht und Stress hat, hat erwiesenermassen einen erhöhten Cortisolspiegel. Zuviel Cortisol hindert das für den Muskelaufbau wichtige Testosteron daran, in die Zellen einzudringen und verlangsamt die gesamten Stoffwechselprozesse. Dadurch wird auch das Immunsystem negativ beeinflusst.
Kann sich ein von Grund auf pessimistischer Mensch in einen Optimisten verwandeln?
Nein. Der Grundcharakter eines Menschen lässt sich nicht komplett verändern. Fakt ist aber, dass sich Lebensfreude trainieren und die Lebensqualität dadurch verbessern lässt. Es gibt ganz einfache Achtsamkeitsübungen, die zu einer positiveren Lebenseinstellung führen. Dr. Barbara L. Fredrickson, eine vorantreibende Wissenschaftlerin im Bereich der Positiven Psychologie, beschreibt im Buch „Die Macht der guten Gefühle“, wie jeder aus der Abwärtsspirale kommen kann, in die ihn selbstzerstörerische Gefühle getrieben haben. Eine davon ist, einem negativen Gedanken ganz bewusst drei positive entgegenzusetzen. Am Abend trotz Stress oder widriger Umstände zu reflektieren: Was war gut an diesem Tag? Wofür bin ich dankbar, auch wenn ich ein Problem habe? Wie stark werden mich die momentanen Umstände noch in einem halben Jahr tangieren?
Das ist schwierig, wenn man einen Job oder gar den Partner verliert…
Es geht nicht darum, schmerzhafte Erfahrungen zu verdrängen. Wenn ich wütend bin, hilft es mir nicht, an drei positive Dinge zu denken. Ich muss diese Wut erst einmal annehmen. Sie gibt mir schlussendlich die Kraft, etwas zu verändern. Beim Verlust eines Partners kommt niemand um die Trauerphase herum. Es geht jedoch darum, nicht jahrelang in Depressionen zu versinken. Sondern trotz der Erkenntnis, dass man einen geliebten Menschen vermisst, an die gemeinsamen positiven Erlebnisse zu denken. Und zu erkennen, dass es auf dem eigenen Weg weitergeht.
Was sind für Sie die Grundvoraussetzungen für ein gesundes und erfülltes Leben?
Ganz wichtig ist, dass man im eigenen Dasein einen Sinn findet und sich nicht nur auf andere abstützt. Wer sein eigenes Glück davon abhängig macht, was von aussen passiert, gerät früher oder später immer unter Druck. Hoffentlich ist der Chef heute zufrieden... Hoffentlich rebellieren die Kinder nicht... Hoffentlich passiert nichts Schlimmes… Die Erkenntnis, dass absolut niemand, auch nicht ich als Stärkencoach, für den inneren Frieden sorgen kann, ist enorm wichtig. Jeder gestaltet sein Glück selber und bestimmt durch seine Gedanken die Grundhaltung in seinem Leben. Positiv oder negativ. Wahres Lebensglück hängt grösstenteils von ganz kleinen alltäglichen Dingen ab. Nicht davon, ob jemand befördert wird, einen tollen Urlaub macht oder ein fantastisches Konzert besucht. Das sind alles nur die i-Tüpfelchen. Ich habe Klienten, die vermögend, gesund und erfolgreich sind. Und trotzdem eine totale Leere empfinden. Sie haben alles erreicht und erkennen plötzlich: das macht mich gar nicht glücklich.
Wie können Sie einem Menschen helfen, der lauter Problemen gar nichts mehr positiv sieht oder gar kurz vor dem Burnout steht?
Ich versuche mit ihm die Lebensbereiche herauszukristallisieren, in denen er am schnellsten positive Effekte sieht. Oft geht das vom Körperempfinden aus. Regelmässige Bewegung in der Natur harmonisiert die Psyche und fördert das körperliche Wohlbefinden. Und ein positives Körpergefühl führt zu einer optimistischeren Grundhaltung im Leben.
Müssen Menschen mit schlechten Kindheitserfahrungen mehr an ihrem Selbstwertgefühl und einer positiven Lebenseinstellung arbeiten als andere?
Leider ja. Jeder von uns hat seine Biographie und es gibt Fälle von resilienten Persönlichkeiten, die trotz widrigster Umstände zu fröhlichen und optimistischen Menschen heranwachsen. Viele andere sind in ihrem Denken und Handeln von ihrer negativen Vergangenheit geprägt. Wer die Schuld für seine schlechte Verfassung immer wieder darauf schiebt, begibt sich in eine Opferrolle und zementiert seinen Zustand. Der amerikanische Biologe Dr. Bruce Lipton hat in seiner langjährigen Forschungsarbeit etwas Erstaunliches herausgefunden: Eine gesunde Zelle, die man zu kranken Zellen gibt, wird krank. Gibt man hingegen eine kranke zu gesunden Zellen, heilt sie. In die Praxis umgesetzt heisst das: Wer in schlechten Verhältnissen aufgewachsen ist, sollte sich nicht mit Menschen umgeben, die ihn negativ beeinflussen; sondern ein Umfeld wählen, das ihn in seinem Leben und Wirken ermutigt. Denn die Vergangenheit kann niemand mehr ändern. Aber jeder kann hier und heute entscheiden, was ihm gut tut und was nicht.
Ursula Burgherr