Falsche regulatorische Massnahmen führen zum Verlust von Medikamenten

Die Preisschere zwischen günstigen und sehr teuren Medikamenten tut sich immer weiter auf. Es besteht dringender Handlungsbedarf, wenn die medizinische Grundversorgung in der Schweiz nicht gefährdet werden soll.

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Über 97 % aller verkauften Packungen im krankenkassenpflichtigen Markt kosten unter 200.- Franken. Damit ist die Grosszahl der Erkrankten versorgt. Diese niedrigpreisigen Medikamente leisten einen grossen Beitrag in der Grundversorgung unseres Gesundheitssystems. Sie machen nur gut 45 % des gesamten Umsatzes aus. Die restlichen 3 % der verkauften Packungen kosten über 200.- Franken und verursachen stolze 55 % der Kosten.

Die günstigen werden immer günstiger

Vor allem in den unteren Preisklassen sind die Preise während der vergangenen Jahre durch Politik und Staat systematisch gesenkt worden. Allein die Preissenkungen der letzten Jahre führten zu Einsparungen von einer Milliarde Franken zugunsten der obligatorischen Krankenversicherung. Einsparungen im Gesundheitswesen sind wichtig, und die Medikamente müssen ebenfalls ihren Beitrag leisten. Die Preissenkungen bei den niedrigpreisigen Medikamenten haben aber Folgen: Der Preisdruck auf die Hersteller führt dazu, dass immer mehr wichtige Wirkstoffe nur noch von wenigen oder einem einzigen Werk produziert werden und diese meist in asiatischen Ländern mit tiefen Lohnkosten ansässig sind. Ist eines dieser wenigen Werke dann durch Produktionsschwierigkeiten oder Umweltkatastrophen nicht mehr produktionsfähig, sind die Medikamente innert kürzester Zeit nicht mehr lieferbar. Die Lieferschwierigkeiten im vergangenen Jahr mit dem viel eingesetzten und bewährten Schmerzmittel Ibubrofen sensibilisierte die Bevölkerung erstmals für dieses Problem.

Schweiz wird zunehmend unattraktiv

Der Schweizer Markt ist für die Hersteller durch die Preissenkungen zunehmend unattraktiv. Die Produktionsmengen sind für die kleine Schweiz mehr als gering, die Zulassungsverfahren kostspielig und die Vorschriften anders, komplexer, aufwändiger und kostspieliger als in der EU. Dies hat zur Folge, dass in der Schweiz rund 200 generikafähige Wirkstoffe weniger als beispielsweise in Deutschland zur Verfügung stehen, weil sich die Zulassung in der Schweiz dafür nicht lohnt.

Die neueste Entwicklung zeigt, dass aktuell auch bereits zugelassene Medikamente vom Markt genommen werden, weil die Vermarktung für den Hersteller durch den Preiszerfall nicht mehr rentabel ist. Für Schlagzeilen in den vergangenen Wochen sorgte beispielsweise das bekannte Antibiotikum Augmentin®. Da das Geschäft nicht mehr rentiert, werden Augmentin®-Ampullen und -Suspensionen in der Schweiz nicht mehr vertrieben.

Aber auch die fast 600 aktuelle Lieferengpässe zeigen, in welch heikler Lage sich der Schweizer Medikamentenmarkt schon befindet. Der Schweizer Markt ist nicht lukrativ genug, um als Erster versorgt zu werden. Hier muss die Politik vom hohen Ross herunterkommen, um zu merken, dass die Medikamentenwelt nicht auf die Schweiz gewartet hat.

Zukünftige Entwicklung

In Zukunft soll mit dem Referenzpreissystem,  auch Fixpreissystem genannt, bei den niedrigpreisigen Medikamenten weiter eingespart werden. Das heisst, für sämtliche Generika soll ein Maximalpreis bestimmt werden, der von der obligatorischen Krankenkasse bezahlt wird. Liegt der Preis des gewünschten Medikaments darüber, muss der Versicherte die Differenz selbst bezahlen.
Es ist zu befürchten, dass sich mit der Einführung des Referenzpreissystems die angespannte Versorgungssituation nochmals erheblich zuspitzen wird. Bis dato konnte der verhältnismässig kleine Markt «Schweiz» seine Versorgung durch höhere Preise sichern. Wenn die Wirtschaftlichkeit für die generischen Wirkstoffe nicht mehr gegeben ist, wird das zur Verdrängung kleiner und mittlerer Hersteller, Lieferengpässen und dem Verlust der Medikamentenvielfalt führen. Die meisten Anbieter von Generika mit tieferem ex-factory Preis als 10.- Franken (immerhin 25 % der Produkte) werden sich bei der Einführung eines Referenzpreissystems vom kleinen Schweizer Markt zurückziehen. Dies wird unweigerlich zu noch mehr Lieferengpässen führen, die dann durch teurere Alternativen ersetzt werden müssen. Dieses Szenario gilt es zu vermeiden.

Die teuren Medikamente werden immer mehr

In den vergangenen Jahren hat die pharmazeutische Forschung grosse Fortschritte gemacht. Es wurden nicht nur neue Wirkstoffe, sondern völlig neue Therapieansätze entwickelt. Der Einsatz von Antikörpern, Antiviralia bei Hepatitis C oder die Gentherapie bei Krebserkrankungen waren Meilensteine in der pharmazeutischen Entwicklung und ermöglichen Therapieerfolge, die zuvor nicht denkbar waren. So erfreulich diese Entwicklungen sind, ist die Kehrseite dieser modernen Therapien der meist unverhältnismässig hohe Preis.

Ein Beislpiel eines solch völlig revolutionären Therapieansatzes ist die CAR-T-Zelltherapie. Vereinfacht gesagt, werden körpereigene Immunzellen so verändert, dass sie das Tumorgewebe angreifen. Mit dem Medikament Kymriah® wurde in der Schweiz eine CAR-T-Zelltherapie bei schweren Fällen von Leukämie zugelassen. Der Preis für eine einmalige Behandlung beläuft sich auf über 350`000 Franken.
Die neuen Antiviralia bei chronischer Hepatitis C sorgen schon länger für Gesprächsstoff. Seit ihrer Einführung hat sich die Behandlung der Betroffenen stark verbessert. Der Preis für einen Monat beträgt jedoch über 14`000 Franken. Es ist mit einer Behandlung während drei Monaten zu rechnen. Da kommen schnell über 40’000 Franken Therapiekosten zusammen.

Umsatz von teuren Medikamenten rasant gestiegen

Neuzulassungen für Medikamente betreffen immer öfters hochpreisige Medikamente. Dadurch hat der Umsatz von Medikamenten mit einem Fabrikabgabepreis von über 2570.- Franken seit dem Jahr 2005 um über 1000% zugenommen. Der Anstieg war vor allem während den letzten zehn Jahren steil. Welche Auswirkungen die hohen Preise auf die gesamten Medikamentenkosten haben, machen folgende Zahlen deutlich: Hochpreisige Medikamente mit einem Fabrikabgabepreis von über 880.- Franken machen über 35 % aller Medikamentenkosten, aber nur 1% aller Packungen aus. Das heisst, dass ein paar wenige, enorm teure Arzneimittel, einen Grossteil des Budgets verschlingen.
Zudem werden die Preise der hochpreisigen Medikamente nicht mehr nach Forschungs- und anderen Kosten festgelegt, sondern nach deren Nutzen. Es stellt sich dann die ethische Frage, was ein Menschenleben wert ist?

Die neuen teuren Therapien bringen die Prämienzahler in ein Dilemma. Grundsätzlich möchte sicher niemand einem Krebserkrankten oder einem Patienten mit rheumatoider Arthritis eine Therapie versagen, die sein Leben verlängern oder verbessern könnte. Die Frage der kommenden Jahre wird jedoch sein, wie diese Therapien finanziert werden können.

Realität ist aber auch, dass die grosse Mehrheit der Patienten sehr günstige Medikamente benötigt, zum Beispiel gegen Herz-Kreislauferkrankungen oder Schmerzen. Die Versorgung dieser Patienten muss zwingend weiterhin gesichert werden. Aber die Versorgung mit genau diesen Medikamenten ist mit dem momentanen Preis(senkungs)system gefährdet und wird mit dem geplanten Fixpreissystem (Referenzpreis) noch kritischer.

Hochpreisige Medikamente angehen

Es ist keine Lösung, dass an bereits günstigen Medikamenten weiter gespart, gleichzeitig aber hochpreisigen Medikamenten keinerlei Einhalt geboten wird. Die Einsparungen bei niedrigpreisigen Medikamenten werden die Kosten für die hochpreisigen Medikamente niemals decken können. Bereits jetzt hebt der vermehrte Einsatz von hochpreisigen Medikamenten die Effekte der Preissenkungen bei den günstigen Medikamenten und Generika auf. Voraussichtlich werden die nächsten Jahre noch viele Neuzulassungen im Hochpreissegment bringen. Es ist an der Zeit, dass die Politik das heisse Eisen der hochpreisigen Medikamente anpackt, anstatt mit regulatorischen Massnahmen ein Flickwerk produziert, welches die günstigen Medikamente vom Markt verdrängt.


Von Carina Brunner, Apothekerin

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