Die meisten älteren Menschen werden vergesslicher, merken sich Namen und Nummern schwerer. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass das Gehirn schlechter arbeitet – es arbeitet einfach anders. Ältere Menschen können sich Neues nicht mehr so gut merken, weil ihr Gehirn weniger zielgerichtet arbeitet als das jüngerer Menschen. Die Fähigkeit, unwichtige Informationen von wichtigen zu unterscheiden, lässt nach, mit der Folge, dass der interne Arbeitsspeicher überlastet wird und im Gedächtnis nicht immer die Dinge ankommen, die für die aktuelle Situation relevant sind.
Das Gehirn setzt Prioritäten
Wir verfügen über drei Arten von Gedächtnis: Das Ultrakurzzeitgedächtnis, das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis. Im Ultrakurzzeitgedächtnis verweilen die Eindrücke gerade mal sechs bis 20 Sekunden, danach werden 3% der Informationen weitergeleitet, die restlichen 97% werden gelöscht. Die nächste Station ist das Kurzzeitgedächtnis, wohin nur ausgewählte Informationen gelangen. Aufgenommen werden die Informationen durch grosse Neugier oder Interesse, Emotionen, durch Assoziation und bewusste Konzentration. In diesem Zwischenspeicher verbleiben die Informationen für etwas 20 Minuten. Danach werden etwa 90% aussortiert. In den Endspeicher Langzeitgedächtnis gelangen nur solche Informationen, die als besonders wichtig angesehen werden. Dass ältere Menschen Mühe haben, sich gewisse Dinge zu merken, könnte nicht zuletzt auch daran liegen, dass die Prioritäten anders gesetzt werden als in jungen Jahren. An weiter zurückliegende, bedeutsame Ereignisse erinnern sich ältere Menschen meist besser und detaillierter als Junge.
Junge sind schnell, Alte erfahren
Auch wenn die Informationsverarbeitung im Gehirn mit dem Alter langsamer wird – Ältere machen vieles durch ihre Erfahrung wett. In einem Vergleich zwischen jungen und älteren Sekretärinnen waren die älteren zwar langsamer im Tippen, aber durch ihre Erfahrung im Verfassen von Geschäftsbriefen holten sie die verlorene Zeit wieder auf, sodass in der Studie kein Altersunterschied festgestellt werden konnte. Und manchmal sind Betagte sogar schneller als Kinder: In einer australischen Studie beherrschte eine Gruppe von über 60-jähringen eine ihnen zuvor völlig unbekannte Sprache nach sechs Monaten bereits so gut, wie Schulkinder erst nach fünf Unterrichtsjahren. Ein betagtes Gehirn ist auch ein Gehirn voller Informationen, an die neue Informationen angeknüpft werden können – wie zum Beispiel beim Erlernen einer neuen Sprache.
Positiv denken
Wenn jemand mit 25 etwas vergisst oder sich nicht an einen Namen erinnert, macht er sich keinen Kopf daraus. Vergisst aber ein 60-Jähriger den Schirm im Bus oder hat den Namen seines Nachbarn nicht gerade parat, wird das oft als Zeichen für ein nachlassendes Gedächtnis verstanden. Oft wird vergessen, dass das Gedächtnis auch in jungen Jahren nicht perfekt funktioniert. Senioren machen ihr Gedächtnis deshalb gerne schlechter als es ist. Man weiss aus Untersuchungen, dass ein negatives Selbstbild auch zu schlechteren Leistungen führt. Umgekehrt kann das Gedächtnis positiv beeinflusst werden, wenn man davon überzeugt ist, dass das Altern keine negative Wirkung auf das Gedächtnis haben muss.
Krankhaft vergesslich
Wenn im Alter das Denken schwerfällt, ist in der Regel der Gehirnstoffwechsel beeinträchtigt. Arteriosklerose (verengte Gefässe als Folge erhöhter Blutfettwerte), Bluthochdruck oder Diabetes leisten dem Vergessen Vorschub. Manchmal liegt die Ursache im Gehirn selbst, so zum Beispiel bei der Alzheimer Demenz. Im Anfangsstadium ist die beginnende Demenz oft kaum von normaler Vergesslichkeit zu unterscheiden. Auffällig werden Betroffene vor allem durch Schwierigkeiten, das richtige Wort zu finden, durch Orientierungsstörungen oder weil sie plötzlich ihr Hobby oder die Körperpflege vernachlässigen. Betroffene verdrängen ihre Probleme häufig, und nicht selten sind es die Angehörigen, die den ersten Arztkontakt herstellen müssen. Die Diagnose kann nur durch eine ausführliche Untersuchung gestellt werden. Immer häufiger werden diese in einer sogenannten „Memory-Clinic“ durchgeführt, die sich auf die Behandlung von Demenz spezialisiert hat. Je früher die Demenz behandelt wird, desto besser. Durch Gedächtnistraining und pflanzliche Arzneimittel mit Ginkgo biloba kann der Verlauf verzögert werden.
Gedächtnis-Training
Sicher hingegen ist, dass sich regelmässige Bewegung die Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr zum Gehirn fördert und dadurch den Gehirnstoffwechsel verbessert. In Kombination mit Gedächtnistraining kann die Verbindung zwischen den Nervenzellen gefestigt und sogar die Bildung neuer Zellen angeregt werden. Das Gehirn muss gefordert werden, um in Form zu bleiben. Wenn die Lebenssituation im Alter zu weniger Aktivität führt, verliert das Gehirn seine Kondition ähnlich wie ein Ausdauersportler, der eine Weile mit dem Training aussetzt. Zum Glück ist Gehirntraining weder schweisstreibend noch aufwendig. Geeignet ist alles, was für Abwechslung sorgt (siehe Box).
Das beste Gedächtnistraining aber ist der Austausch und die Kommunikation mit anderen Menschen. Wer sich regelmässig mit anderen Menschen trifft und mit ihnen in Dialog tritt, der trainiert sein Gehirn automatisch, weil es immer neuen Reizen ausgesetzt wird und sich stets auf Neues einstellen muss. - Wer also bis im Alter geistig fit bleiben will, sollte nie aufhören, einen aktiven Lebensstil zu pflegen, Neues zu lernen und unter Menschen zu gehen.
Von Dr. pharm. Chantal Schlatter, Apothekerin