Wahre Experten machen aus der Pflicht eine Kür

Sandra Casalini über Sex, Sinnlichkeit und den Umgang mit Kondomen

Thinkstock

Kaum etwas treibt Männern und Frauen so schnell die Schamröte ins Gesicht wie ein Kondomkauf. Und das in einer Zeit, in der jedes Werbeplakat «Sex» schreit. Aber irgendwie werden die 
Verhüterli ihren schlechten Ruf nur schwer los.

Von Sandra Casalini

«Was ist der Unterschied zwischen einem Trabi und einem Präservativ?» Kondom-Witze sind so alt, wie die Gummis selbst. Und seien wir mal ehrlich: Wenn wir in der Apotheke stehen, und vor uns kauft jemand Präservative, machen sich sofort die Vorurteile in unseren Köpfen breit. Bei einem Teenager denken wir: «Ach herrje, das erste Mal Sex.» Bei jemandem zwischen 20 und 30: «Aha, schläft sich durch die Stadt.» Zwischen 30 und 40: «Nimmt seine Frau nicht die Pille?» Und zwischen 40 und 50: «Klarer Fall von Fremdgehen!» Ab 60 hingegen kann Mann die Verhüterli voller Stolz auf den Tresen knallen, da erntet man durchaus Bewunderung.
Fakt ist: Egal in welchem Alter, egal, ob Mann oder Frau, der Kondomkauf hat immer noch etwas leicht Anrüchiges. Und das in einer Zeit, in der jeder versucht, sein Produkt in irgendeiner Art und Weise mit Sex zu verbinden, um es zu verkaufen. Von der Jeans bis zum Joghurt.
Dabei ist es doch so, liebe Leute: Die Packung Zigaretten, die Ihr so lässig aufs Band an der Supermarkt-Kasse legt, kann Euch umbringen. Die Gummis, die Ihr so schamhaft unter der Familienpackung Wienerli versteckt, können unter Umständen Leben retten.

Herausforderung 
statt Hindernis

Aber was ist denn nun eigentlich der Unterschied zwischen einem Trabi und einem Präservativ? «Es gibt keinen. Beide behindern den Verkehr.» Ich höre in meinem Kopf viele zustimmende Stimmen – und die meisten davon sind männlich.
Liebe Männer, Ihr wollt uns Frauen doch nicht weismachen, dass eine dünne Gummischicht euch in irgendeiner Art und Weise behindert? Nun, dann lasst Euch gesagt sein: Ein wahrer Experte sieht die Dinge als Herausforderung, nicht als Hindernis. Seid kreativ, lasst euch etwas einfallen. Fürs simple Rein und Raus braucht Ihr keine Partnerin und keinen Partner, da tuts auch ein Gummipendant – ausser natürlich, Ihr habt tatsächlich eine Latex-Allergie, die aber in Wirklichkeit äusserst selten ist!
Und noch etwas: Wenn jemand Euch in sein Bett lässt, findet er oder sie Euch meist ziemlich gut. Da brauchts schon mehr zum Abtörnen, als eine Kondom-Packung, die man nicht aufkriegt. Ausserdem ist Lachen gesund und wenn man nochmal von vorn anfängt, hat man länger was davon. Gut, so nach dem fünften Versuch wird’s schon langsam mühsam. Aber hey, wisst Ihr was Frauen und Männer an ihren Partnern mehr schätzen als Stehvermögen? Humor.

Lust, Leidenschaft – 
und ein bisschen Verstand

Dieser Appell geht im Übrigen vor allem an die Erfahrenen unter Euch Männern. Denn die Jungen scheinen nicht so ein Problem mit Kondomen zu haben. Laut «Spiegel» ist der Anstieg der Neuansteckungen mit HIV nämlich bei den über Vierzigjährigen am höchsten. Und die «Welt» stellte folgende Rechnung auf: 2005 waren 25 Prozent der HIV-Positiven in Deutschland über 50 Jahre alt. 2009 waren es ein Drittel. 2015 sind es bereits gut die Hälfte. Das liegt sicherlich auch daran, dass infizierte Menschen heute dank Medikamenten länger leben. Aber nicht nur.
Gut, könnte man sagen, bei unerfahrenem Teenager-Rumgefummel spielt es nun nicht so eine grosse Rolle, ob man mittendrin im Puff des heimischen Kinderzimmers auch noch nach dem Gummi graben und nochmal von vorn anfangen muss. Im Eifer des erwachsenen Gefechts stört die Unterbrechung da schon eher. Aber eben: Ein guter Liebhaber versteht es, aus der Pflicht eine Kür zu machen.

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