Sparen bei Medikamenten: Der Preis ist heiss

Viel wird diskutiert über zu hohe Medikamentenpreise und das Einsparpotenzial bei Generika. Die Meinungen gehen auseinander, die Berichterstattung scheint unausgewogen, und die Wahrheit liegt meist irgendwo dazwischen. Hier ein Blick auf die Personen hinter dem Tresen.

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Um bei der Diskussion um Medikamentenpreise mitreden zu können, kommt man um ein bisschen Theorie nicht drumherum: Der Publikumspreis eines krankenkassenpflichtigen Medikamentes wird staatlich festgesetzt. Er setzt sich zusammen aus dem Fabrikabgabepreis, den Vertriebskosten und der Mehrwertsteuer. Der Fabrikabgabepreis entspricht dem, was der Hersteller für sein Produkt verlangen kann. Der Vertriebskostenzuschlag, die sogenannte Vertriebsmarge, ist dazu da, die Kosten des Grossisten, Apothekers und selbstdispensierenden Arztes für Logistik, Infrastruktur und Personal sowie die Kapitalkosten (z.B. Zinsen) zu decken. Der Vertriebskostenanteil (Vertriebsmarge) wiederum setzt sich aus einer Fixmarge und einer Prozentmarge zusammen. Während die Fixmarge für alle Medikamente einer Preisklasse gleich ist, hängt die Höhe der Prozentmarge von der Höhe des Preises ab. Denn bei höheren Packungspreisen entstehen dem Apotheker zum Beispiel auch grössere Kapitalkosten und grössere Risiken bei der Lagerhaltung. Doch genau diese Prozentmarge ist der Grund, warum Apothekern und Ärzten gerne vorgeworfen wird, sie würden lieber teure Medikamente verkaufen, weil sie daran mehr verdienen. Also bitteschön, rechnen wir das einmal durch:

Fehlanreiz im Rappenbereich

Wie gesagt, die Fixmarge innerhalb einer Preisklasse ist fix. Die Anschuldigung müsste sich also auf die Prozentmarge beziehen. Sagen wir, der Apotheker kauft bei seinem Grossisten ein Medikament für 20 CHF ein. Seine Prozentmarge beträgt in diesem Fall 12%, das heisst 2,40 CHF. Diese muss er mit dem Grossisten teilen, bleiben ihm also 1,20 CHF. Wählt der Apotheker nun stattdessen ein 50% teureres Medikament mit einem Einkaufspreis von 30 CHF, beträgt seine Prozentmarge 3,60 CHF bzw. 1,80 CHF, wenn man den Anteil für den Grossisten davon abzieht. Das sind netto 0,60 CHF mehr, die er durch den Verkauf eines 50% teureren ‒ in unserem Beispiel 10 CHF teureren ‒ Medikamentes mehr erhält. Nur wird es für den Apotheker oder Arzt jedoch schwierig sein, ein vergleichbares, austauschbares Medikament zu finden, dass 50% teuer ist – die Preisdifferenz zwischen Generika und Originalpräparten zum Beispiel liegt in der Regel zwischen 20‒30%. Dazu muss der Apotheker den Austausch erklären und dokumentieren. Das heisst: Der von den Medien propagierte Fehlanreiz bewegt sich in der Regel im Rappenbereich, der in keinem Verhältnis zum Mehraufwand steht.

Apotheken leisten einen grossen Beitrag

Im Zuge der Sparmassnahmen haben Apotheker bereits 2001 mit den Krankenkassen den sogenannten LOA-Vertrag (Leistungsorientierte Abgeltung) abgeschlossen, um den Verdienst des Apothekers weitgehend vom Medikamentenpreis zu entkoppeln. Stattdessen wird der Apotheker unabhängig vom Medikamentenpreis für Dienstleistungen wie den Medikamenten- und den Bezugs-Check entschädigt. Seit Einführung der LOA haben die Apotheker mitgeholfen, Beträge in Millionenhöhe zu sparen. Doch das hat nicht gereicht. Um die Sparmassnahmen zu verschärfen, wurden vom Staat in den letzten Jahren zusätzlich die Margen gesenkt, während die Kosten für Personal und Infrastruktur weiter steigen. Obwohl das Absatzvolumen und der Ertrag aus den pharmazeutischen Dienstleistungen insgesamt zugenommen haben, ist die Kostendeckung pro Packung kontinuierlich gesunken, weil sich der Aufwand und die Lohnkosten überproportional erhöhen. Das macht sich insbesondere bei den niedrigpreisigen Medikamenten bemerkbar. Der Aufwand bei der Abgabe von günstigen Medikamenten ist mittlerweile höher als der Ertrag. Die Apotheker erwirtschaften also einen Verlust, indem sie die Bevölkerung mit günstigen Medikamenten versorgen und sie dazu beraten. Durch die staatlich festgelegten Sparmassnahmen haben die Apotheken seit 2013 noch einmal Einsparungen von insgesamt 754 Millionen Franken geleistet. Das geht an niemandem spurlos vorüber: Bereits jede fünfte Apotheke befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, die ihr Überleben gefährdet.

Weiter auf Kosten der Apotheken?

Doch schon werden weitere Forderungen laut: Ginge es nach santésuisse, soll die Prozentmarge auf 5% Prozent reduziert und die Fixmarge auf 10 CHF beschränkt werden. Damit würden insgesamt 330 Millionen CHF respektive ein Prämienprozent für die Versicherten eingespart werden. Der Anteil der Apotheken an dieser Summe beträgt rund 55%, das heisst, bei den Apothekern sollen weitere 180 Millionen CHF eingespart werden. Das entspricht knapp 30% der Marge eines Apothekers, um 1% Krankenkassenprämie einzusparen. Welches Unternehmen überlebt eine Margenkürzung um 30%?

Preise insgesamt gesunken

Entgegen anderen Behauptungen sind die Medikamentenpreise in der Schweiz in den letzten Jahren tatsächlich deutlich gesunken, und zwar stärker, als in jedem anderen europäischen Vergleichsland, mit dem die Schweizer Medikamentenpreise im Rahmen des sogenannten Auslandpreisvergleiches gerne verglichen werden. Der jüngste Auslandpreisvergleich von santésuisse und Interpharma hat denn auch gezeigt, dass Originalpräparate in der Schweiz durchschnittlich nur noch 9‒17% teurer sind. Für Generika zahlt man in der Schweiz immer noch mehr als doppelt so viel wie im Ausland. Deshalb sind Santésuiss und Interpharma der Meinung, dass durch entsprechende Sparmassnahmen bei den Generika «mehrere hundert Millionen» Franken eingespart werden können. Schauen wir uns auch das ein wenig genauer an: Generika machen 11% der Medikamentenkosten bzw. 1% der Gesamtkosten aus. Im Gegensatz dazu verschlingen hochpreisige Medikamente, d.h. Medikamenten ab einem ex-factory Preis von 880 CHF, ganze 31% der Medikamentenkosten, obwohl sie anteilmässig nur 0,6% ausmachen. Ein paar wenige teure Arzneimittel verschlingen also einen Grossteil des Budgets. Ein weiteres Problem stellt die Zunahme der höchstpreisigen Medikamente (über 2’570 CH) dar, wie neue Antikörper-, Krebs- und Hepatitis-C-Therapien. Bei den günstigsten Medikamenten noch mehr zu sparen – macht das denn überhaupt Sinn?

Auslandpreisvergleich funktioniert nicht

Gibt es vielleicht auch Gründe, weshalb Generika bei uns teurer sind? Und was geschieht, wenn man Schweizer Preise mit dem Ausland vergleicht? Die Schweiz ist ein kleines Land mit einem kleinen Markt. Die Anforderungen an Generikahersteller sind dafür umso grösser: Zum Beispiel müssen im Sonderfall Schweiz alle Verpackungen in allen Packungsgrössen mit allen Packungsbeilagen immer in allen drei Amtssprachen erstellt und behördlich genehmigt werden. Generika werden in kleinen Mengen speziell für die Schweiz hergestellt. Das ist mit ein Grund, warum Generika in der Schweiz teuer sind. Hierzulande stehen uns 200 generische Wirkstoffe weniger zur Verfügung als in Deutschland, weil es sich für die Hersteller nicht lohnt, bei uns ein Generikum auf den Markt zu bringen. Wir können in der Schweiz nicht einfach Auslandpreise übernehmen, weil die Ausgaben ja auch nicht dieselben sind. Zwar werden die Preise überall staatlich festgelegt. Aber jeder Staat verfügt über ein anderes Vergütungssystem und andere Kosten für Löhne und Infrastruktur. Preise und Margen können nicht wie Ware importiert werden. Die Vertriebskosten zum Beispiel sind zu 100% Inlandkosten. Sie werden mit Schweizer Löhnen und Schweizer Infrastruktur bezahlt. Der Auslandpreisvergleich funktioniert so nicht. Bei Arzt- und Spitaltarifen wird auch kein Auslandpreisvergleich angestellt.

Folgen des Referenzpreissystems

Aber zurück zu den Generika. Die geforderten Einsparungen sollen nun durch Einführung eines sogenannten Referenzpreissystems geholt werden. Dabei soll für alle patentabgelaufene, also «generikafähige» Wirkstoffe ein Maximalpreis bestimmt werden, der von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen werden muss. Liegt der Preis darüber, muss der Versicherte die Differenz selbst bezahlen. Laut einer Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit sollen dabei Einsparungen im niedrigen dreistelligen Millionenbereich möglich sein. Die Einsparungen gehen zum Grossteil zu Lasten der Pharmaindustrie, aber auch bei den Grossisten, Apothekern und selbstdispensierenden Ärzten sollen 20‒30% der Vertriebsmage eingespart werden. (Noch einmal minus 30%?) Dieselbe Studie stellt weiter fest, dass ein Teil der erhofften Einsparungen durch Zusatzkosten wieder aufgefressen werden. Zum Beispiel, wenn Patienten auf andere Medikamente umgestellt werden müssen, weil das aktuelle nicht mehr bezahlt wird. Dafür sind zusätzliche Arztbesuche sowie Laboruntersuchungen erforderlich, und es entstehen Folgekosten durch Therapieabbrüche und Fehlmedikation.

Versorgungssicherheit leidet

Ausserdem wird laut Studie eine Zunahme der Versorgungsengpässe erwartet. Wenn die Preise für Generika vom Staat so tief gedrückt werden, dass es sich für die Hersteller in der Schweiz nicht mehr lohnt, werden sie vom Markt genommen. Gibt es alternative Sparmöglichkeiten bei den Generika? Ja, die gibt es. Vor allem durch einen vermehrten Einsatz, nicht durch Senkung der Preise auf ein Niveau, dass das Angebot von Generika in der Schweiz gefährdet. Versorgungsengpässe sind auch in der Schweiz bereits zur Realität geworden. Letztes Jahr wurde eine eigene «Meldestelle für lebenswichtige Humanarzneimittel» ins Leben gerufen, aktuell stehen über 50 lebenswichtige Medikamente darauf. Im Zuge des anhaltenden Preisdrucks werden sich die Versorgungengpässe weiter verschärfen. Wenn das Bundesamt für einen Antibiotikum-Sirup für Kinder einen Preis festlegt, der unter den Herstellungskosten liegt, muss man sich nicht wundern. Und dass eine Packung Schmerzmittel des Generikums von Dafalgan weniger kostet als ein Pack Kaugummi von Prix-Garantie, darf schon zu denken geben. Zumal praktisch jeder Schritt in der Herstellung des Arzneimittels bis zur Beratung und Abgabe an den Patienten von Fachpersonen begleitet sein muss. Und ist es nicht genau diese fachliche Beratung, die wir in Apotheken so zu schätzen wissen?


Dr. pharm. Chantal Schlatter, Apothekerin

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